Studie "Gewalt und Gewaltschutz in Einrichtungen der Behindertenhilfe" veröffentlicht
Menschen mit Behinderungen aller Geschlechter sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Gewalt in unterschiedlichen Bereichen ihres Lebens zu erleben. Für Frauen und Mädchen mit Behinderungen gilt das insbesondere im Bereich sexualisierte Gewalt und Belästigung in besonderem Maße.
Das zeigen die Ergebnisse der vom BMFSFJ und BMAS beauftragten Studie des Institut für empirische Soziologie (IfeS), die nun vorliegen.
In zwei Teilstudien wurden die Lebenssituationen und Gewalterfahrungen von Frauen und Männern mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und in stationären sowie ambulanten Wohnangeboten untersucht. Neben den Ergebnissen der quantitativen und qualitativen Befragungen enthalten die Studien jeweils auch Beispiele guter Praxis und Handlungsempfehlungen für Verbesserungen im Gewaltschutz der jeweiligen Einrichtungen.
Kurzzusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben und arbeiten, erleben Gewalt in den unterschiedlichen Lebensbereichen.
Einschränkungen der Freiheit und der Selbstbestimmung:
Insbesondere in stationären Wohneinrichtungen ist die Privatsphäre der Bewohner*innen nach wie vor eingeschränkt. Zwar verfügt inzwischen der größte Teil der befragten Frauen und Männer (90 %) über ein eigenes Zimmer, das meist (80%) abschließbar ist und größtenteils (70 %) auch über abschließbare Toiletten- und Waschräume. Aber für 10 bis 30 % der befragten Personen gelten diese minimalen Standards nicht.
Die Möglichkeit mitzuentscheiden, mit wem sie zusammenwohnen, hat nur ein Viertel der Befragten.
Die befragten Frauen und Männer leben deutlich weniger in Partnerschaften als der Bevölkerungsdurchschnitt und haben noch seltener Kinder.
90 % der erwerbstätigen Befragten arbeiten in einer Werkstatt für behinderte Menschen und verfügt nur über ein sehr geringes Einkommen.
In diesem Bereich unterscheiden sich die Daten von Frauen und Männern mit Behinderungen kaum.
Gewalterfahrungen:
Insgesamt erleben Männer und Frauen mit Behinderungen im Verlauf ihres Lebens häufig und oft mehrfach Gewalt. Von psychischer Gewalt berichten rund 80 % der Befragten und körperliche Gewalt erleben knapp 60 %. Hier sind Frauen und Männer mit Behinderungen ähnlich stark betroffen. Sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigung betrifft Frauen mit Behinderungen jedoch fast doppelt so häufig wie Männer mit Behinderungen.
Erstmals liegen mit der Teilstudie zu den WfbM belastbare Zahlen zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz in den Werkstätten vor: Im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt sind WfbM-Beschäftigte sind fast dreimal so häufig von sexueller Belästigung betroffen, Frauen noch stärker und von schwereren Formen als Männer.
Und jetzt?
Die Zahlen zeigen noch einmal sehr nachdrücklich:
Gewaltschutz in Wohneinrichtungen und WfbM ist dringend notwendig.
Selbstbestimmung und Partizipation der Nutzer*innen sind unerlässliche Grundvoraussetzungen für einen wirksamen Schutz vor Gewalt.
Die Beispiele guter Praxis beschreiben erste Ansätze und Leuchtturm-Projekte, die Anregungen und Inspiration für die weitere Arbeit in der Praxis sind. Aber von einem wirksamen und vor allem flächendeckenden Gewaltschutz in der Behindertenhilfe kann nicht die Rede sein.
Die Ergebnisse sollten Anlass sein, genau hinzuschauen: Was braucht es jetzt auf den unterschiedlichen Ebenen in Praxis, Verwaltung, Forschung und Politik, um einen wirksamen, flächendeckenden und partizipativen Gewaltschutz auf den Weg zu bringen?
Kontakt und Informationen:
Projekt "Suse – Gewaltschutz in Einrichtungen: Gewaltfrei leben und arbeiten"
Ricarda Kluge
Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe // Frauen gegen Gewalt e.V.
Petersburger Straße 94
10247 Berlin
t: +49(0)30/32299500
f: +49(0)30/32299501
https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/aktionen-themen/suse-gewalt-gegen-frauen-und-maedchen-mit-behinderungen.html
https://www.suse-hilft.de/de/