Interview mit Sara Hassan: Autor*in, Trainer*in und Berater*in für diskriminierungskritische Schulungsarbeit
„Es gibt viele [Schulungs-]Angebote, die sich nur auf eine Diskriminierungsform fokussieren. Ich glaube aber, dass das nicht funktioniert. Man muss das Ganze betrachten, weil die Realität zeigt, dass Menschen selten nur von einer Sache diskriminiert werden, sondern dass oft mehrere Diskriminierungsformen zusammenkommen […]. Wenn man nur eine Dimension betrachtet, erzählt man nur die halbe Geschichte.“
Sara Hassan ist freiberuflich als Autor*in, Trainer*in, Berater*in und als Speaker*in international im Bereich der diskriminierungskritischen Schulungsarbeit tätig. Mitunter ist Sara Hassan Co-Autor*in des Buches „Grauzonen gibt es nicht“ – ein Guide durch die Grauzone sexualisierter Belästigung. Neben einem Hintergrund im Journalismus und Erfahrungen als Podcaster*in und Moderator*in verfügt Sara Hassan durch die Tätigkeit als politische Referent*in im Europäischen Parlament über weitgehendes Wissen in den Bereichen Politik und Machtstrukturen. Schwerpunkte Sara Hassans Arbeit bestehen in den Themen Belästigung, Prävention, Intersektionalität und Strategien gegen Machtmissbrauch.
Könnten Sie sich kurz vorstellen und erklären, wie Sie zur diskriminierungskritischen Bildungsarbeit gefunden haben?
Sara Hassan: Mein Name ist Sara Hassan. Ich bin Autor*in und Trainer*in im Bereich diskriminierungskritische Schulungsarbeit. Mein beruflicher Hintergrund liegt im Journalismus. Außerdem habe ich einige Jahre auch im politischen Bereich, genauer im Europäischen Parlament, gearbeitet. Dabei ist mir bewusst geworden, dass es mir Spaß macht, komplexe Sachverhalte begreifbar zu machen. Nach meiner Arbeit im Europäischen Parlament, habe ich eine Zeit lang politische Bildungsarbeit gemacht. Zur Schulungsarbeit bin ich gekommen, weil ich mich immer sehr für die Zusammenhänge von Feminismus und Rassismus interessiert habe und für ihre spezifischen Intersektionen mehr Bewusstsein schaffen wollte.
Wie arbeiten Sie spezifisch zum Thema sexualisierte Belästigung und wie würden Sie Ihre Schwerpunkte beschreiben?
Sara Hassan: Zu Beginn meiner Arbeit habe ich sehr spezifisch zum Thema sexualisierte Belästigung gearbeitet. Mittlerweile habe ich diesen Fokus aber ausgeweitet. Anfangs ging es hauptsächlich um das Schlagwort der sexualisierten Belästigung und um die Sensibilisierung und Benennung der verschiedenen Formen diskriminierender Belästigung. Heute spreche ich jedoch im weiteren Sinne von Machtmissbrauch, weil dieser Sammelbegriff mehr umfasst. Oft denkt man bei sexueller Belästigung ‚nur‘ an Sexismus und Misogynie, aber in diesem Problem steckt tatsächlich noch viel mehr. Deshalb finde ich es produktiver, von Machtmissbrauch im Allgemeinen zu sprechen, um mehr Phänomene abbilden und gleichzeitig bearbeiten zu können.
Wie würden Sie diskriminierungskritische Bildungsarbeit beschreiben? Ist es für Sie dasselbe wie machtkritische Arbeit oder gibt es Unterschiede?
Sara Hassan: Bei diskriminierungskritischer Arbeit geht es prinzipiell auch um die Bedingungen, unter denen Schulungen stattfinden. Es geht nicht nur um den Inhalt, also darum, über Diskriminierung zu sprechen, sondern auch darum, welchen Raum wir schaffen. Wie wirken diskriminierende Strukturen auf uns als Akteur*innen in diesem Raum? Welche Handlungen und Nichthandlungen geschehen unter diesem Dach? Und was können und müssen die Menschen, die Verantwortung für diesen Raum haben – also nicht nur alle Teilnehmer*innen, sondern auch diejenigen, die diesen Raum leiten – tun, um dem etwas entgegenzusetzen, wenn solche Strukturen in der Schulung selbst wirksam werden? Ich glaube, erst dann kann man wirklich mit der inhaltlichen Schulungsarbeit beginnen. Das ist fast schon irreführend ausgedrückt, weil das natürlich auch zum Inhalt gehört, doch ich glaube, der Punkt ist, dass Inhalt ohne Praxis nicht funktioniert. Man muss erst sicherstellen, dass alle in diesem Raum gemeinsam lernen können und niemand gehen muss, weil die Machtstrukturen, die hier wirken, unhinterfragt sind und manchen Menschen nicht erlauben, überhaupt in diesem Raum zu bleiben.
Würden Sie noch weitere Prinzipien und Werte der diskriminierungskritischen Bildungsarbeit zugrunde legen?
Sara Hassan: An Stelle von Prinzipien und Werten setze ich eher auf Vereinbarungen und Aushandlungen. Ich denke, es ist relativ einfach, sich hinter gewissen Prinzipien zu versammeln oder zu sagen: „Ja, mit diesem Wert identifiziere ich mich hundertprozentig.“ Aber die Frage ist: Wie sieht das aus, wenn dieser Wert oder dieses Prinzip verletzt wird oder wenn ich, obwohl ich eigentlich glaube, dass ich für diesen Wert einstehe, erkenne, dass ich das tatsächlich nicht tue? Zum Beispiel, wenn jemand anderes in der Schulung sagt, dass du diesen Wert verletzt. Dann gibt es ein Problem, weil alle anderen sagen werden: „Moment mal, aber wir haben uns dem doch verschrieben, das kann doch gar nicht sein.“ Hier entsteht dann ein Konflikt, der, glaube ich, viel schwieriger aufzulösen ist, weil Werte und Prinzipien etwas Statisches haben. Man steht hinter oder vor einem Wert, man steht für etwas ein. Das hat aber nichts Aktives, nichts Bewegliches. Eine Vereinbarung und eine Aushandlung sind für mich etwas anderes, weil wir dann sagen: „Wir vereinbaren jetzt, welches Verhalten in diesem Raum wichtig für uns ist, damit wir einen respektvollen Raum schaffen und welches Verhalten werden wir nicht akzeptieren.“ Es ist etwas anderes, zu sagen: „Mit diesem Verhalten verletzt du genau das, was wir gerade vereinbart haben.“ Ich glaube, dann ist man auf einem anderen Level und alle können anders miteinander interagieren, weil alle in die Pflicht genommen werden und direkt in Aktion treten können. Es ist nicht so, dass wir alle wie Statuen vor einem Wertegebäude stehen. Das ändert schon mal sehr viel und deshalb bin ich von der Frage „Für welche Werte stehen wir ein?“ ein bisschen abgewichen. Ich schaue mir eher an, welches Verhalten wir hier haben wollen und welches nicht.
Was wäre ein spezifisches Beispiel für eine wirksame Methode der diskriminierungskritischen Bildungsarbeit, vor allem im Hinblick auf Schulungen zum Thema Belästigung am Arbeitsplatz?
Sara Hassan: Eine Methode wäre beispielsweise, dass man zu Beginn gemeinsam Regeln für das Verhalten aufstellt und diese kollektiv formuliert, weil es wahrscheinlicher macht, dass sich viele daran halten. Es wird immer auch Leute geben, die das nicht tun, aber darauf kann man sich vorbereiten. Das ist meine andere Methode: sich auf gewisse Szenarien vorzubereiten. Alle Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, wissen, dass es etwas Ermüdendes, fast etwas ‚Langweiliges‘ daran gibt, weil sich diese Dinge immer wiederholen. Diskriminierung ist etwas sehr Altes, und es sind immer die gleichen Mühlen, die hier mahlen. Das bedeutet aber auch, dass man sich darauf vorbereiten kann, sodass man im Schulungsraum zum Beispiel Argumente und Strategien haben kann mit diskriminierenden Äußerungen oder Verhalten proaktiv umzugehen. Wir alle wissen, dass Diskriminierung auch im Schulungskontext immer wieder passiert und es lohnt sich mit Möglichkeiten der Reaktion und Intervention für so einen Fall zu beschäftigten und die daraus entstehenden Gruppendynamiken im Blick zu haben. Dieses Wissen hilft Trainer*innen, die im Kontext Schutz vor sexualisierter Gewalt schulen.
Inwiefern würden Sie sagen, dass eine diskriminierungskritische Praxis immer eine intersektionale Praxis bedingt?
Sara Hassan: Ich glaube, dass das eine nicht ohne das andere geht. Wenn ich zum Beispiel einen Rassismus-Workshop gebe, dann kann ich den nicht machen, ohne auch Sexismus zu thematisieren. Rassismus wirkt auf Schwarze Frauen, Frauen of Color und queere Personen, die von Rassismus betroffen sind, natürlich anders als auf Schwarze Männer. Wenn ich nur über Rassismus spreche, ohne auch Queerfeindlichkeit, Sexismus, Misogynie oder Ableismus zu thematisieren, werde ich nicht sehr weit kommen. Umgekehrt ist es dasselbe, wenn ich einen Anti-Belästigungs-Workshop halte: Ich kann das nicht tun, ohne auch Rassismus zu thematisieren, denn auch hier wirkt Belästigung anders auf Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Es gibt viele Angebote, die sich nur auf eine Diskriminierungsform fokussieren. Ich glaube aber, dass das nicht funktioniert. Man muss das Ganze betrachten, weil die Realität zeigt, dass Menschen selten nur von einer Sache diskriminiert werden, sondern dass oft mehrere Diskriminierungsformen zusammenkommen, weil unsere Gesellschaften so aufgebaut sind, dass Diskriminierungen auf unterschiedliche Menschen unterschiedlich wirken. Wenn man nur eine Dimension betrachtet, erzählt man nur die halbe Geschichte.
Welche Zielgruppe sollte mit dieser Art von Schulungsansätzen angesprochen werden und warum? Wer profitiert längerfristig von solch einem Angebot?
Sara Hassan: Ich glaube, dass grundsätzlich alle Menschen von solchen Angeboten profitieren können. Es gibt unterschiedliche Auswirkungen oder sogenannte „Ripple-Effekte“[1], also weitergehende Konsequenzen des Trainings. Das ist wieder sehr unterschiedlich, je nachdem, ob es für Betroffene ist, die das Training vielleicht anderen Betroffenen empfehlen, oder ob sie mit anderen Betroffenen darüber sprechen. Es geht also darum, auf individueller Ebene oder für eine bestimmte Gruppe ein anderes Bewusstsein zu schaffen. Außerdem wissen wir ja auch nie, welchen Einfluss diese Personen haben. Haben sie zum Beispiel einen einflussreichen Twitter-Account und teilen dort ein solches Training? Das hat natürlich ganz andere Effekte, als wenn ich das nur einer Freundin schicke. Dann gibt es Menschen, die in einer Verantwortungsposition in einer Organisation sind. Wenn sie durch solche Schulungen sensibilisiert und mit Kompetenzen ausgestattet werden, hat das idealerweise unmittelbare Auswirkungen auf die Art und Weise, wie die Organisation geführt wird. Darum denke ich, dass man das aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten muss. Ich glaube, es bringt tatsächlich für jeden etwas, aber der Effekt variiert je nach Zielgruppe und Einflusssphäre.
[1] Nachwirkungen
Sie hatten bereits Machtstrukturen angesprochen. Könnten Sie ausführen, was Machtsensibilität im Kontext einer diskriminierungskritischen Schulungspraxis bedeutet?
Sara Hassan: Ich glaube, das Machtsensibilität bedeutet, dass man ganz klar herausarbeitet, wie genau diese Machtstrukturen wirken. Normalerweise möchte ich in einer Schulung, dass alle da sind, um zu lernen und ich möchte jede einzelne Person ernst nehmen mit dem, womit sie in die Schulung kommt. Das ist gut und wichtig, aber es bedeutet nicht, dass wir alle auf dem gleichen ‚Level‘ sind und dass es keine Unterschiede in den Hierarchien, Erfahrungen und Betroffenheiten gibt. Wenn ich so tue, als würden diese Unterschiede nicht existieren und als wären wir alle in derselben Machtposition und mit denselben Instrumenten ausgestattet, werde ich irgendwann auf Schwierigkeiten stoßen. Machtsensibilität bedeutet für mich auch, dass ich diese Unterschiede in der Schulung nicht nur thematisiere, sondern sie als Prinzip in meine Arbeit integriere. Es gibt zum Beispiel Unterschiede, wenn jemand, der sich noch nie mit dem Thema Belästigung auseinandersetzen musste, in der Schulung mit Betroffenen sitzt, da ich davon ausgehen muss, dass diese Person ziemlich viel Macht hat. Ich muss dann darauf achten, dass das, was die Person sagt, keine schädlichen Effekte auf die ganze Gruppe hat, wenn sie z.B. Argumente wiederholt, die sie nur aus öffentlichen Diskursen kennt, aber nie aus Betroffenensicht. Es geht also nicht nur darum, dass jede einzelne Person in der Schulung sitzen kann und etwas lernt, sondern darum, sich bewusst zu machen, wie es auf die Gruppe wirkt, wenn ich z.B. diskriminierenden oder unbedachten Äußerungen nicht entgegenhalte. Für mich bedeutet das tatsächlich manchmal auch, dass ich Entscheidungen treffen muss, bei denen ich vielleicht jemandes Ego verletze, indem ich sage: „Das ist ein Stereotyp, das nicht der Wahrheit entspricht und hier keinen Platz hat“, da ich für die gesamte Gruppe verantwortlich bin. Wenn ich nicht im Auge habe und thematisieren kann, wie diese verschiedenen Machtstrukturen und -positionen funktionieren, wird es schnell verwirrend, und am Ende lernen die Leute nicht so viel.
Welche Kompetenzen sind für Berater*innen notwendig, um diskriminierungskritische und intersektionale Schulungen durchzuführen, und was würden Sie neuen Trainer*innen empfehlen, die in dieses Feld einsteigen und sich diese Praxis aneignen wollen?
Sara Hassan: Es wird oft unterschätzt, was es alles braucht, um richtig gute Schulungen durchzuführen. Man muss in der Lage sein, den Raum zu halten, schnell zu denken und zu handeln und nicht nur die Bedürfnisse der einzelnen Personen, sondern auch der Gruppe im Blick zu behalten. Man muss gegen Widerstände anhalten können und das sind nur die „Facilitation Skills“, also die Fähigkeiten, die man braucht, um den Raum zu strukturieren. Inhaltlich muss man sehr gut argumentieren können und seine Themen in- und auswendig kennen. Man muss auch kreativ sein und Schulungen so gestalten, dass sie die Teilnehmenden nicht langweilen. Schulungen sollten nicht als ermüdend und verpflichtend wahrgenommen werden, sondern als eine Möglichkeit, etwas Neues zu lernen. Kreativität und Originalität sind also wichtig. Man muss sich auch genau damit auseinandergesetzt haben, wie Ausschlussmechanismen funktionieren, und in der Lage sein, diese zu erklären und ihnen in der Schulung entgegenzuwirken. Man braucht wirklich einen „big bag of tricks“, also ein Repertoire an verschiedenen Handlungsoptionen, um in unterschiedlichen Situationen angemessen reagieren zu können. Man muss wissen, wann man eine Spannung mit Humor auflösen sollte und wann man auf jeden Fall dagegenhalten muss, auch wenn das nicht allen Teilnehmer*innen gefallen mag. Diese Entscheidungen muss man treffen, damit die Menschen, die in meinem Training sind, auch wirklich etwas lernen und mit einem produktiven Ergebnis herausgehen. Wichtig ist dabei, dass niemand während der Schulung eine Diskriminierungserfahrung macht. Und falls das doch passiert, muss ich dem sofort etwas entgegensetzen und sicherstellen, dass es nicht unkommentiert bleibt, sondern bearbeitet wird – und zwar auf eine Art und Weise, die die Betroffenen ins Zentrum rückt.
Sie hatten auch bereits die Rolle von Menschen in Führungspositionen beim Thema Zielgruppen angesprochen. Warum spielt ein diskriminierungskritischer Schulungsansatz eine grundlegende Rolle bei der Fortbildung von Führungskräften zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?
Sara Hassan: Oft fehlt das Wissen darüber, wie diese Diskriminierungsformen zusammenhängen und wo sie beginnen. Im besten Fall sind sich Menschen nicht bewusst, dass es bestimmte Gruppen gibt, die bereits diskriminiert werden und daher ein höheres Risiko haben, auch am Arbeitsplatz belästigt zu werden. Wenn diese Zusammenhänge nicht erkannt werden, besteht die Gefahr, dass die einzelnen Vorfälle als Kleinigkeiten abgetan werden oder nicht als Teil eines größeren Problems erkannt werden. Das Wesentliche ist, dass Führungskräfte lernen, diese Muster zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Wenn man einmal verstanden hat, wie diese Regelmäßigkeiten und Muster funktionieren, ist es leichter, sie zu erkennen und richtig einzuordnen.
Wie könnte man die Qualität solcher Schulungen im Bereich Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sichern und kontinuierlich verbessern? Was wird gebraucht?
Sara Hassan: Das ist eine schwierige Frage, da es kein geschützter Beruf ist. Im Grunde kann jeder behaupten, Trainer*in oder Coach für Antidiskriminierungsarbeit zu sein. Das kann problematisch sein, wenn Leute den machtkritischen Aspekt nicht im Blick haben. Dadurch können Schulungen entweder nur auf einer Reflexionsebene bleiben oder wichtige Ausschlussmechanismen nicht richtig besprochen werden. Das ist nicht nur eine verpasste Chance, sondern im schlimmsten Fall wenden sich Menschen ab und verlieren das Vertrauen in Organisationen, die vielleicht wirklich Veränderung anstreben. Ich denke, es wäre gut, wenn es so etwas wie eine „Academy“ gäbe, die Trainer*innen gezielt in Machtkritik und Diskriminierung schult. Dabei geht es nicht nur um das Verständnis von Diskriminierung und Privilegien, sondern auch um konkrete Handlungsstrategien: Was bedeutet eine Machtposition? Was ist meine Einflusssphäre? Wann sollte ich mich zurückhalten? Solche Schulungen fehlen oft, und es ist schwierig, alles abzudecken, weil so viele verschiedene Menschen unterschiedliche Handlungsanweisungen geben. Solange der Machtaspekt nicht ausreichend berücksichtigt wird, bleibt das Ganze leider flach.
Würden Sie sagen, dass es bisher keine ausreichenden Fortbildungsangebote für diese Kompetenzen gibt?
Sara Hassan: Tatsächlich kenne ich keine oder nur wenige Möglichkeiten, bei denen Trainer*innen gezielt Machtkritik und Diskriminierung lernen können. Es gibt keine Programme, die Strategien lehren, um Diskriminierung und Macht in den Blick zu nehmen und für alle Situationen vorbereitet zu sein. Das ist ein großes Manko, das es dringend zu beheben gilt.
Welche Widerstände oder Barrieren tauchen typischerweise bei der Umsetzung diskriminierungskritischer Bildungsangebote im Kontext der Schulung zum Thema Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz auf?
Sara Hassan: In den Schulungen selbst ist eine große Hürde, wenn Menschen dazu verpflichtet werden, teilzunehmen, aber nicht wirklich interessiert sind. Dann besteht die Gefahr, dass sie destruktiv werden, und das erschwert die Arbeit mit dem Rest der Gruppe, der sich wirklich einbringen will. Aber auch dafür kann man Strategien parat haben. Eine weitere Hürde ist, dass Schulungen oft auf die rechtliche Dimension beschränkt sind. Es geht oft nur darum, welche Schritte Führungskräfte unternehmen müssen, um sich rechtlich abzusichern. Es bleibt selten Raum für die Frage, was Führungskräfte über die rechtlichen Verpflichtungen hinaus tun können, um einen wirklich sicheren und integrativen Arbeitsplatz zu schaffen. Wenn das Ziel einer Schulung nicht nur ist, sich rechtlich abzusichern, sondern wirklich einen Arbeitsplatz zu schaffen, an dem sich alle – abgesehen von den Belästiger*innen – wohlfühlen, dann verändert das die ganze Dynamik der Schulung und ermöglicht ein anderes Arbeiten.
Haben Sie noch weitere Anmerkungen oder Verweise, die Sie hinzufügen möchten?
Sara Hassan: Ja, eine Sache. Ich denke, in der Arbeit rund um Sexismus, Intersektionalität und MeToo, geht oft die Arbeit von Menschen, die mehrfach diskriminiert werden, unter. Diese Menschen haben viel von ihren Erfahrungen eingebracht und Energie hineingesteckt, um diese Themen für andere verständlich zu machen. Es ist gar – nicht nur ironischerweise, sondern Teil der Struktur – oft genau die Arbeit dieser Menschen, und besonders von Schwarzen Frauen, die unsichtbar gemacht wird. Über Intersektionalität zu sprechen, ohne Kimberlé Crenshaw zu erwähnen, ist ein Problem. Über MeToo zu sprechen, ohne Tarana Burke zu nennen, die die ursprüngliche Initiatorin der Bewegung war, ist ebenfalls ein Problem. Wenn man mehr Aufmerksamkeit auf diese Dimensionen lenken würde, würde es auch nicht so schnell passieren, dass man diese Themen trennt und glaubt, es ginge nur um Sexismus oder nur um eine andere Diskriminierungsform. Das ist mir wichtig.
Vielen Dank für das spannende Gespräch.
Das Interview wurde von Ela Yıldız vom Projekt „make it work!“ durchgeführt.