Interview mit den ADS-Referentinnen Kathrin Böhler und Heike Fritzsche zum Thema sexuelle Diskriminierung, Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz

„Nach #MeToo müssen Politik und Führungskräfte langfristige Strukturen gegen Belästigung am Arbeitsplatz mitaufbauen und die Umsetzung des AGG aktiv fördern!“

Kathrin Böhler ist Beraterin bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Heike Fritzsche ist wissenschaftliche Referentin im Bereich Forschung der ADS und begleitet die aktuelle Studie  „Strategien im Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz“, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Herbst 2019 veröffentlichen wird. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist enge Kooperationspartnerin des bff-Projekts „make it work!“

Frau Fritzsche, können Sie uns kurz die ADS vorstellen?

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist eine unabhängige Stelle, die sich seit 2006 auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) mit dem Thema Diskriminierung befasst. Wir haben aus dem AGG drei gesetzliche Aufgaben: Beraten, Forschen und Öffentlichkeitsarbeit. Im Rahmen der Beratung unterstützen wir auf unabhängige Weise Personen, die Benachteiligungen erfahren haben, die rassistisch oder antisemitisch motiviert waren oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts (Frauen, Männer, Trans*, inter, nicht-binäre Identitäten), der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des jungen oder alten Lebensalters oder der sexuellen Identität (homo-, bi- und heterosexuelle Menschen) erfolgt sind. Das Referat Öffentlichkeitsarbeit informiert die Öffentlichkeit über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Darüber hinaus forschen wir zum Thema Diskriminierung und vergeben Forschungsvorhaben.

Frau Böhler, als ADS sind Sie die Stelle, die auf der Grundlage des AGG arbeitet und die Umsetzung des AGG in der Praxis befördert. Können Sie diese Grundlage (also das AGG) und die konkrete Arbeit der ADS zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beschreiben?

Das AGG verbietet Benachteiligungen aus den oben genannten Gründen (§ 1 AGG) vor allem im Erwerbsleben und bei privaten Rechtsgeschäften. In solchen Fällen können Betroffene insbesondere Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche geltend machen.

Sexualisierte Belästigung ist als Form geschlechtsbezogener Diskriminierung im Erwerbsleben nach dem AGG ausdrücklich verboten. Als beispielhafte Formen sexualisierter Belästigungen nennt das AGG: „unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen“.

Alle Menschen, die das Gefühl haben, sexuell belästigt oder anderweitig diskriminiert worden zu sein, können sich telefonisch, per E-Mail, mit einem Kontaktformular oder per Post direkt an uns wenden. Eine Anfrage ist auch anonym möglich. Wir bieten dann eine rechtliche Ersteinschätzung an, die auf den konkreten Fall eingeht. Dabei informieren wir über Ansprüche und die Möglichkeiten des rechtlichen Vorgehens. Zwar können wir keine anwaltliche Beratung oder Prozessbegleitung gewähren. Gleichwohl können wir von den Arbeitgeber*innen eine Stellungnahme anfordern und versuchen, eine gütliche Beilegung des Konflikts zu erreichen. Zudem können wir die Betroffenen an geeignete Beratungsstellen am Wohnort vermitteln. Unsere Beratung ist nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für Arbeitnehmer*innenvertretungen, Gleichstellungsbeauftragte und andere Beratungsstellen gedacht. Sie kann in Anspruch genommen werden, um unsere Expertisen für die eigene Arbeit mit Betroffenen zu nutzen. Für Multiplikator*innen können wir auch Workshops und Schulungen zu dem Thema durchführen.

Darüber hinaus haben wir zum Thema sexuelle Belästigung den Leitfaden „Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz? Leitfaden für Beschäftigte, Arbeitgeber und Betriebsräte“ veröffentlicht. An Beschäftigte richtet sich unser Flyer „Grenzen setzen“, der auch in leichter Sprache verfügbar ist. Im Rahmen der Social-Media-Kampagne #darüberreden veröffentlichte die ADS einen Videoclip, der sich mit sexueller Belästigung beschäftigt. Außerdem ist die ADS mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und Betrieben zum Thema vernetzt.

Im Bereich der Forschung wurde 2014 im Auftrag der ADS eine Forschung unter 1.000 Beschäftigten und 667 Arbeitgeber*innen durchgeführt, die sich mit dem Wissensstand von Arbeitgeber*innen und Beschäftigten zu sexueller Belästigung beschäftigt hat. Derzeit wird im Auftrag der ADS eine weitere Studie mit dem Titel „Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz – Lösungsstrategien und Maßnahmen zur Intervention“ erstellt. Im Rahmen des Themenjahres gegen Geschlechterdiskriminierung 2015 setzte die ADS die Expert*innenkommission „Gleiche Rechte- Gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“ ein, die umfangreiche Empfehlungen zur Bekämpfung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gegeben hat.

Was ist das Besondere am Schutz durch das AGG? Welche Handlungsmöglichkeiten bietet das Gesetz Betroffenen?

Mit dem AGG wurde in Deutschland erstmals ein Gesetz geschaffen, das den Schutz vor Diskriminierung durch private Akteur*innen in Bezug auf verschiedene Kategorien zentral regelt. Das Gesetz setzt dabei auch an den diskriminierenden Strukturen an: Es enthält neben den Rechten für Arbeitnehmer*innen auch Pflichten für Arbeitgeber*innen. Diese müssen ihre Beschäftigten vor Diskriminierung schützen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, gegen Mitarbeiter*innen vorzugehen, die andere Kolleg*innen diskriminieren. Die möglichen Maßnahmen reichen dabei von einer Versetzung über eine Abmahnung bis hin zur Kündigung. In allen Betrieben muss zudem eine Beschwerdestelle eingerichtet werden, über deren Existenz alle Beschäftigten informiert sein müssen.

Für Betroffene von sexualisierter Belästigung am Arbeitsplatz sieht das AGG drei zentrale Rechte vor: Das Beschwerderecht, ein Leistungsverweigerungsrecht und einen Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz. Die Betroffenen haben zunächst das Recht, im Betrieb bei der zuständigen Stelle Beschwerde einzulegen. Die Beschwerdestelle muss sich mit der Beschwerde auseinandersetzen, sie prüfen und die betroffene Person über das Ergebnis der Prüfung informieren. Beschäftigten, die eine Beschwerde eingelegt haben, dürfen daraus keine Nachteile entstehen. Abmahnungen oder Kündigungen wegen einer Beschwerde sind also verboten. Außerdem haben Beschäftigte den Anspruch auf vorbeugende und unterbindende Schutzmaßnahmen durch Arbeitgeber*innen. Von sexualisierter Belästigung am Arbeitsplatz Betroffene haben in einigen Fällen Arbeitgeber*innen gegenüber zudem einen Anspruch auf Schadensersatz bzw. Entschädigung.

Was sind Ihre Erfahrungen aus der Beratungspraxis? Wie begleiten Sie Betroffene sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz? Welche Hilfsangebote können Betroffene im Rahmen der ADS-Beratung wahrnehmen und welche Angebote werden dabei besonders oft genutzt?

Betroffene sind oft stark verunsichert, wie sie mit der erlebten Situation umgehen sollen. Sexualisierte Belästigungen gehören vor allem für Frauen zur gesellschaftlichen Realität. Jede sechste Frau hat eine sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Viele Betroffene sind sich angesichts dieser „Normalität“ unsicher, ob ihre Erfahrung eine sexualisierte Belästigung darstellt, oder ob sie dieses Verhalten hinnehmen müssen. So ist beispielsweise oft nicht bekannt, dass auch verbale Formen sexualisierter Belästigung ausdrücklich verboten sind. Dazu kommt die Angst vor negativen Konsequenzen. So finden sexualisierte Belästigungen häufig durch Kolleg*innen oder Vorgesetzte einer höheren Hierarchiestufe statt. Wir bestärken die Betroffenen und helfen bei der Durchsetzung ihrer Rechte durch die oben genannten Angebote: Aufklärung über Ansprüche und Möglichkeiten des rechtlichen Vorgehens, Unterstützung bei der Formulierung von Beschwerden und Forderungen, Unterstützung bei einer gütlichen Beilegung des Konflikts und Vermittlung an eine Unterstützungsstruktur vor Ort. Den meisten Betroffenen von sexualisierter Belästigung geht es zunächst um eine Aufklärung über die rechtlichen Möglichkeiten und eine Unterstützung bei der Entscheidungsfindung, welches Vorgehen am sinnvollsten ist.

Was ist Ihrer Meinung nach, für Ihre Berater*innenpraxis, bei der Arbeit mit Betroffenen sexueller Belästigung, Diskriminierung und Gewalt besonders wichtig?

Das Entscheidende ist, sich klar daran zu orientieren, was die betroffene Person möchte. Nicht in jedem Fall ist es sinnvoll, dass die ADS Arbeitgeber*innen kontaktiert. Manchmal ist es schon hilfreich, die Betroffenen zu ermutigen, sich Kolleg*innen, der Gleichstellungsbeauftragten oder dem Betriebs- bzw. Personalrat anzuvertrauen. In jedem einzelnen Fall ist gemeinsam mit der betroffene Person herauszuarbeiten, welche der Möglichkeiten für sie die richtige ist. Dafür ist es entscheidend, sie umfassend über alle Rechte aufzuklären aber auch auf die möglichen Risiken aufmerksam zu machen. Nur so kann eine individuell passende Lösung gefunden werden. Dabei kann keine Beratung nach einem Schema F ablaufen. Nach einer Beschwerde besteht beispielsweise häufig der nachvollziehbare Wunsch, der belästigenden Person im Arbeitsalltag nicht mehr zu begegnen. Bis zur Klärung des Vorfalls sind Sanktionen oder Versetzungen aber unverhältnismäßig. Das kann vorübergehend gelöst werden, indem die betroffene Person freigestellt oder krankgeschrieben wird, bis der Vorfall der sexuellen Belästigung aufgeklärt ist.

Wie bewerten Sie, aus Berater*innenperspektive,  den Stand der Umsetzung des AGG in Deutschland bzgl. des Themas sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz? Ist die Definition des AGG zum Thema bekannt? Kennen Arbeitgeber*innen  ihre Pflichten? Arbeitnehmer*innen ihre Rechte? Was geschieht bei Vorfällen Ihrer Erfahrung nach?

Der Stand der Umsetzung und das Wissen um Rechte und Pflichten sind sehr unterschiedlich. Arbeitgeber*innen wenden sich vermehrt an uns, um sicherzugehen, dass sie sich richtig verhalten. Teilweise gibt es inzwischen auch sehr professionelle innerbetriebliche Unterstützungsstrukturen. Andererseits kommen viele Arbeitgeber*innen ihren Pflichten aus dem AGG nicht nach. Betroffene berichten uns immer wieder, dass sie nicht ernst genommen werden. In den meisten Fällen sind die belästigten Personen in einer hierarchisch schwächeren Position. Auch daher ist eine Schuldumkehr immer noch weit verbreitet und negative Konsequenzen treffen die Betroffene und nicht die belästigende Person.

Bei Vorfällen stellen insbesondere die Sachverhaltsermittlung und die Auswahl der richtigen Schutzmaßnahme die Arbeitgeber*innen vor große Herausforderungen. So bereitet es Schwierigkeiten, die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen zu bestimmen. In Betracht kommen Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung.

In Ihrem Jahresbericht von 2018 wurde deutlich, dass es einen deutlichen Anstieg der Beratungsanfragen zum Thema sexuelle Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz bei der ADS gab. Welche Gründe sehen Sie für diesen Anstieg?

Die Veränderung von festgewachsenen gesellschaftlichen Strukturen und Einstellungen ist ein langer Prozess. Wir können aber beobachten, dass sich das gesellschaftliche Bewusstsein hinsichtlich sexueller Belästigung verändert. Debatten wie #MeToo haben in den vergangenen Jahren eine längst überfällige Diskussion über Benachteiligungen am Arbeitsplatz und auch über Machtstrukturen ausgelöst. Die Sensibilisierung für das Thema und auch der Mut von Betroffenen, über eigene Erfahrungen zu sprechen, sind gewachsen.

Ein Beispiel aus meiner Beratungspraxis verdeutlicht dies: Eine junge Frau hat sich mit den Worten „In Zeiten von #MeToo muss endlich etwas geschehen!“ für ihre Mutter gemeldet. Diese wird seit Jahren von ihrem Vorgesetzten sexuell belästigt. Bisher hat sie das alles hingenommen und wusste nicht ob und  wie sie sich wehren kann. Die Tochter ermutigte ihre Mutter, endlich etwas zu unternehmen und holte sich dabei Unterstützung von der ADS.

Wird der Rechtsweg genutzt, und wenn ja, wie geschieht das? Wer klagt? Was läuft gut, was schlecht? Wie sind Ihre Erfahrungen?

Studien zeigen, dass Betroffene selbst kaum vor Gericht ziehen. Bei der großen Mehrheit der Fälle vor Gericht handelt es sich um Kündigungsschutzklagen von aufgrund sexueller Belästigung am Arbeitsplatz beschuldigten Personen.

Vielfach geht es den Betroffenen gar nicht darum, bestimmte rechtliche Positionen vor Gericht durchzusetzen. In der Regel sind die Konfliktparteien eher an einer außergerichtlichen Einigung interessiert. Vor allem Beschäftigte, die sexualisiert belästigt werden, kommt es meist nicht auf eine Klage an – sie möchten ohne Belästigungen weiter arbeiten. Die Erfahrung zeigt, dass unsere Mittel hier durchaus effektiv sein können. Oft genügt schon ein Schreiben der Antidiskriminierungsstelle, um bei Arbeitgeber*innen die Bereitschaft zu wecken, den Konflikt zu klären. Wenn das nicht funktioniert, unterstützen wir durch die Aufklärung darüber, was im Falle einer Klage beachtet werden muss, häufig ist es dann aber sinnvoll Anwält*innen einzuschalten.

Thema Prävention – das AGG schreibt diese ja fest. Wie klappt das Ihrer Ansicht nach in der Praxis?

Auch das ist sehr unterschiedlich. Viele Betriebe – das betrifft vor allem kleine und mittelständische Unternehmen – haben trotz der klaren, gesetzlichen Verpflichtung keine Beschwerdestelle eingerichtet oder bekannt gemacht. Häufig kommt ein Bewusstsein erst, wenn es bereits zu einem konkreten Vorfall kam. Erst dann werden Schulungen durchgeführt, Broschüren ausgelegt und Beschwerdestellen eingerichtet. Besonders für kleinere Betriebe ist es eine große Herausforderung, funktionierende Lösungen und Angebote in Bezug auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz anzubieten, hier wären übergreifende Lösungen und Angebote von Kammern etc. notwendig.

Zurück zum Gesetz selbst: Sehen Sie hier Verbesserungsbedarf? Stichwort Schutzlücken, Klagerechte, Fristen?

Schwierigkeiten bereitet im gerichtlichen Verfahren vor allem die Nachweisbarkeit. Betroffene müssen Vermutungstatsachen (Indizien) vortragen. Erst wenn das Gericht durch den Indizienbeweis eine sexuelle Belästigung für wahrscheinlich hält, erfolgt eine Umkehr der Beweislast. Die Beweislasterleichterung des AGG sollte erweitert und im Arbeitsrecht durch einen Auskunftsanspruch ergänzt werden. Angesichts der zahlreichen Barrieren auf dem Weg zu individuellem Rechtsschutz sollte der Gesetzgeber zudem kollektiven Rechtsschutz im Wege eines Verbandsklagerechts für entsprechend qualifizierte Antidiskriminierungsverbände etablieren und die Recht von Betriebsräten und Gewerkschaften stärken.

Problematisch ist auch, dass Betroffene nur eine sehr kurze Frist von 2 Monaten haben, in welcher sie handeln müssen. Bei sexualisierten Belästigungen handelt es sich aber häufig um sich wiederholende Vorkommnisse über einen längeren Zeitraum. Und: Der Schutz vor sexualisierter Belästigung ist bisher auf das Arbeitsleben beschränkt – der zweite große AGG-Bereich, das Zivilrecht, fehlt hier. Ein Beispiel ist zum Beispiel sexuelle Belästigung von Kund*innen in Restaurants, Bars oder Geschäften. Auch hier sollte das Gesetz erweitert werden.

In unserer umfassenden Evaluation des AGG sprechen wir uns auch in Bezug auf andere Schutzlücken für eine Reform des Gesetzes aus.

Wen sehen Sie Frau Fritzsche - jenseits einzelner Führungskräfte in Unternehmen - in der Verantwortung und in der Lage den Schutz von Arbeitnehmer*innen vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz umzusetzen?

Zunächst sind die Betriebe, Unternehmen, Gewerkschaften und Verwaltungen in der Verantwortung, sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vorzubeugen und zu bekämpfen. Ganz wichtig ist eine klare und auch deutlich nach innen und außen kommunizierte Haltung der Leitungsebene „Wir dulden keine sexuelle Belästigung bei uns!“. Das muss mit verbindlichen Maßnahmen unterlegt sein, die zum einen präventiv wirken (Betriebsvereinbarungen, Leitlinien etc.) und zum anderen handlungssicher sind bei entsprechenden Vorfällen. Dazu zählen geschulte Ansprechpersonen oder ein durchdachtes Beschwerdemanagement und klare Zuständigkeiten bei Vorfällen. Der Schutz der Betroffenen sollte dabei stets im Blick bleiben, v.a. in Bezug auf Anonymität.

Darüber hinaus sehen wir die Politik in der Verantwortung, beim AGG nachzubessern. Der starke gesetzliche Schutz, den das AGG vor sexueller Belästigung bietet steht in deutlichem Kontrast zu den sehr schwachen Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung. Hier gilt es, wie schon angesprochen, Schutzlücken zu schließen, die äußerst kurze Frist von 2 Monaten zur Geltendmachung von Ansprüchen deutlich auszuweiten sowie verpflichtende Präventivmaßnahmen für Arbeitgeber zu konkretisieren.

Schließlich liegt es auch in politischer Verantwortung, die Rahmenbedingungen für externe Beratungsangebote so zu gestalten, dass ein flächendeckendes und langfristig ausfinanziertes Netzt an Anlaufstellen Betroffene passgenau darin unterstütze kann, ihre Rechte auch durchzusetzen.

Was muss ein Projekt wie „make it work!“ Ihrer Ansicht nach angehen, damit sich für Betroffene von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz wirklich etwas verbessert? Was wünschen Sie sich diesbezüglich im Rahmen der Kooperation von „make it work!“ mit der ADS?

Im Moment erfährt die Problematik sexueller Belästigung noch eine erhöhte Aufmerksamkeit, #MeToo wirkt noch nach. Ein Projekt wie „make it work!“ kann erreichen, dass das Thema im öffentlichen Interesse bleibt. Das ist dringend notwendig, um langfristig und strukturell etwas zu verbessern, um Verantwortlichkeiten festzulegen und einmal Erreichtes zu institutionalisieren.

Darüber hinaus hoffen wir, dass das Wissen zu sexueller Belästigung und der kompetente Umgang damit gebündelt und gut aufbereitet zugänglich gemacht werden. Hier haben wir die Fachberatungsstellen im Blick, deren Praxiswissen in Handlungsanleitungen und konkrete Instrumente für Prävention und Intervention in die Unternehmen überführt werden muss. In diesem Kontext wünschen wir uns insgesamt eine Stärkung von Beratung zu sexueller Belästigung vor Ort, so dass Betroffene leicht kompetente Ansprechpartner*innen finden.

Schließlich sehen wir einen sehr hohen Bedarf an Schulung und Qualifikation bei Arbeitgeber*innen. Es gibt viel zu wenige Schulungsangebote, die professionell und qualitativ hochwertig Unternehmen und Organisationen darin begleiten, sich gegen sexuelle

Belästigung am Arbeitsplatz aufzustellen. Ebenso sollten Arbeitgeber*innen unterstützt werden niedrigschwellige innerbetriebliche Beschwerdeverfahren aufzubauen, die häufig noch fehlen. Wir hoffen, dass diese Lücken mit dem Projekt kleiner werden.

Im Herbst 2019 veröffentlicht die ADS eine aktuelle Forschung zum Thema. Können Sie uns dazu schon etwas verraten?

Wir haben Prof. Dr. Monika Schröttle vom Institut für empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Dr. Henry Puhe vom SOKO Institut in Bielefeld dazu gewinnen können, eine empirische Studie zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz durchzuführen. In der Studie geht darum, anhand von Einzel- und Gruppeninterviews die Perspektive betroffener Frauen und Männer und der institutionellen Umfelder zu erfassen und Informationen zu Gelingensbedingungen und Hindernissen für ein erfolgreiches Vorgehen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu gewinnen. Aus der Studie wollen wir effektive und nachhaltige Präventionsmaßnahmen und praxisnahe Handlungsempfehlungen für Betroffene, Arbeitgeber*innen, Unterstützungsstrukturen und den Gesetzgeber ableiten. Dazu bitten wir noch um etwas Geduld: Wir planen, sie in einer Fachwerkstatt am 25. Oktober mit Arbeitgebern zu diskutieren. Das soll ein Auftakt sein, die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen in den kommenden Monaten in die Praxis zu tragen.

Dankeschön für Ihre Zeit und Ihre Expertise!

Das Interview führte Larissa Hassoun (makeitwork@bv-bff.de) vom bff Projekt „make it work! Für einen Arbeitsplatz ohne sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Gewalt“

Linkliste zu den Veröffentlichungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zum Thema „sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“:

Allgemeine Informationen zur Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: www.antidiskriminierungsstelle.de

"Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?", Leitfaden für Beschäftigte, Arbeitgeber und Betriebsräte

Flyer "Grenzen setzen - Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?": www.antidiskriminierungsstelle.de

Link zum Video der ADS-Social-Media-Kampagne #darüberreden: www.facebook.com/antidiskriminierungsstelle

ADS-Factsheet: „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – Vorkommen, Wissensstand und Umgangsstrategien“: www.antidiskriminierungsstelle.de

Bericht der unabhängigen Expert_innenkommission der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: „Gleiche Rechte - gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“: www.antidiskriminierungsstelle.de

Link zur Evaluation des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes: www.antidiskriminierungsstelle.de

© bff